Ein Bruchversuch und viele offene Fragen

Nach monatelanger Arbeit am Bruchflügel unserer Mü 32 war es im April 2024 endlich so weit: Im Bruchversuch sollte die nötige Belastungsfähigkeit des Flügels nachgewiesen werden, damit anschließend die Zulassungsdokumente erstellt und mit dem Bau der fliegenden Teile begonnen werden konnte. Aber sowohl der Weg dahin, als auch die Lehren daraus stellte die Akaflieg vor Herausforderungen.

Die Ausgangslage

Die Konstruktion des Flügels, die Planungsarbeiten für den Bruchversuch und ein Großteil der Fertigung waren Ende 2023 bereits erfolgt. Daher konzentrierten sich die Aufgaben des frisch gewählten Mü-32-Beauftragten Joscha „Schnegge“ Löwe für den Winter vor allem auf die letzten Details der Umsetzung. Ein wichtiger Teil war die Fertigung der benötigten Stahlteile für den Versuch, darunter das Lastgeschirr, der Ersatzrumpf und der Ersatzflügel.

Arbeiten am Bruchflügel vor dem Verkleben der beiden Hälften

Die Koordination der Arbeiten in der Werkstatt verantwortete Karl „Lama“ Kasper, der seine Bachelorarbeit über die Durchführung des Bruchversuchs verfasste. Unterstützung kam auch von den Mitarbeitern des Lehrstuhls für Produktentwicklung und Leichtbau (LPL), die uns in der Werkstatt mit viel Know-how und mit ihrem Maschinenpark beiseite standen.

Ein weiterer großer Aufgabenpunkt war der Zusammenbau der Steuerung für den Test der Steuerfreigängigkeit. Hier gestaltete sich alles etwas komplizierter als gedacht und an einigen (zum Glück nicht strukturell relevanten) Stellen musste auch noch etwas nachgearbeitet werden, um ausreichende Klebespaltdicken zu erreichen.

Maximale Präzision

Für die Planung der Messtechnik wurde zuerst eine Übersicht der geforderten Sensorik festgelegt. Diese beinhaltete Seilwegaufnehmer (SWA), Dehnungsmessstreifen (DMS), Temperatursensoren und eine Möglichkeit, die Zugkraft messen zu können. Aus der Nachbereitung des Crashversuchs mit dem Mü-32-Rumpf war damals ein Kontakt zur Firma Kistler Instrumente AG entstanden, von welcher wir die Software jBEAM für die Auswertung nutzten. Für den Bruchversuch planten wir nun, eine KiDAQ zu nutzen. Diese lässt sich aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Modulen für die angedachte Sensorik zusammensetzen und konnte somit individuell an unsere Anforderungen angepasst werden.

Der von uns verwendete triaxiale Kraftaufnehmer nutzt den piezoelektrischen Effekt, bei dem kleinste Ladungstrennungen aufgrund einer mechanischen Belastung entstehen, für eine sehr empfindliche Messung. Unter Verwendung von Spezialkabeln und einer optimierten Kabelführung lässt sich eine hohe Auflösung erzielen: Selbst leichtes Klopfen auf der Flügelschale unter einer Last von mehreren hundert Kilo erzeugten ein signifikantes Signal. Für die Temperaturaufzeichnung während des Aufheizvorgangs und während des Versuches entschieden wir uns für sechs auf dem Flügel verteilte Thermoelemente (TE).

Die größte Herausforderung war die Installation der 35 DMS, die von Clemens „LöLu“ Lippmann, Simeon „Spanner“ Schmauß und Benno „Tatschi“ Raupach an 29 Stellen platziert wurden. Hier konnten wir zwar schon beim Crashversuch Erfahrungen sammeln, aber es zeigten sich doch immer wieder unerwartete Schwierigkeiten mit den empfindlichen Messelementen.

Nur einer der 35 verbauten Dehnmessstreifen im Bruchflügel der Mü 32

Ergänzt wurde unser Messtechnikaufbau durch die Kamerasysteme: Im Flügel wurden vier Webcams eingeharzt. Diese sollten eventuelle Vorschädigungen dokumentieren und die Vorgänge bei dem Steuerfreigängigkeitsversuch zeigen. Zusätzlich wurden drei High-Speed-Kameras von Imaging Solutions auf den wurzelnahen Bereich, den Gesamtflügel und frontal auf das Versuchsobjekt gerichtet.

Der Einbau der Messtechnik musste koordiniert mit dem Baufortschritt des Flügels erfolgen, da Messstellen teilweise eingeharzt bzw. nach dem Verkleben nicht mehr zugänglich sein würden. Ein besonderer Fokus lag also auch auf eine stabile Verbindung der Kabel und ausreichende Zugentlastung.

Test der Steuerfreigängigkeit

Als die Steuerung und die Messtechnik eingebaut waren, konnten wir den Flügel schließlich verkleben, was reibungslos und mit einem zufriedenstellenden Ergebnis verlief. Im Anschluss wurden die Ruder montiert und die Lastscheren am Flügel angeklebt. Für die letzten Schritte der Montage stellten wir den Flügel dann in die Halle des LPL. So konnten wir sicherstellen, dass der Flügel nach dem Einbau der Hauptbolzen nicht mehr bewegt werden muss. Getempert wurde dann ebenfalls in Versuchsposition.

Der nächste Schritt war dann der Test der Steuerfreigängigkeit unter Last. Hierfür wurde der Flügel im Versuchsaufbau bis j = 1 (die maximal im Flug erreichbare und zulässige Belastung des Flügels) belastet und anschließend die Steuerung von Querruder, Wölbklappe und Bremsklappe betätigt. Es zeigte sich, dass sich die Ruder auch unter Last problemlos bis zum Anschlag bewegen lassen. Wir planen allerdings, den Laminierplan noch ein wenig anzupassen, um die recht hohen Kräfte für die Ruderbetätigung unter Last zu verringern.

Letzte Vorbereitungen

Als letzter Schritt vor dem Bruchversuch erfolgte der Aufbau des Aufheizzeltes. Da der Versuch bei 54 °C durchgeführt werden muss, brauchten wir eine Möglichkeit, um den Flügel zu erhitzen. Gleichzeitig musste der Aufbau aber schnell entfernt werden können, um den Versuchsablauf nicht zu verzögern. Wir einigten uns auf eine Lösung aus Vakuumvlies, welches innen mit reflektierender Folie beklebt war. Die Vliese wurden mit Klammern und Schraubzwingen am Versuchsaufbau aufgehängt und konnten in einem genau choreografierten Ablauf innerhalb von wenigen Minuten abgebaut werden.

Das schnelle Abnehmen des Aufheizzeltes

Die letzten Arbeiten vor dem Versuch waren dann die Vorbereitung der LPL-Versuchshalle für die Gäste. Wir erwarteten etwa 150 Leute zum Versuch und wollten natürlich ein angemessenes Programm bieten. Daher bereiteten Eirik „Süggel“ Lindwein, Spanner und Tatschi einen aufwändigen Livestream vor, den man auch nachträglich noch auf YouTube ansehen kann.

Bereits um 9 Uhr trafen wir uns wieder in der LPL-Halle, um die Heizung für den Flügel anzustellen. Um 10 Uhr gab es noch einmal ein Briefing mit allen Helfern, kurz darauf trudelten langsam die ersten Besucher ein. Um 14 Uhr sollte der Versuch mit einem kurzen technischen Vortrag eingeleitet werden, der Versuchsbeginn war eine viertel Stunde später geplant. Leider gab es direkt vor dem Versuchsbeginn noch Probleme mit der Messtechnik, somit verzögerte sich der Versuchsbeginn um schlappe zwei Stunden. In einem langen Hin und Her mit dem Support von Kistler bekamen wir die Technik dann aber endlich noch zum Laufen.

Ein lauter Knall

Und dann war es so weit: Die Heizung wurde abgeschaltet und das Heizzelt abgebaut, die Kameras starteten ihre Aufnahmen und die Belastung wurde gestartet. Auf einmal war es ganz ruhig in der Halle. Nach und nach wurde die Struktur belastet, indem der Kran schrittweise Richtung Decke gefahren wurde. Bei jedem Knacken des Flügels wurden wir ein bisschen nervöser. Den letzten Schritt bis j = 1,6 hielt der Flügel noch aus. Während des nächsten Belastungsschritts auf j = 1,9 brach der Flügel dann auf Höhe der ersten Lastschere. Der mächtige Knall beim Bruch war richtig laut, dann herrschte für kurze Zeit Stille in der Versuchshalle. Schließlich begann das Publikum, geschätzt 200 Leute, langsam zu klatschen.

Unmittelbar vor dem Bruch des Flügels

Doch für uns war die Arbeit noch nicht vorbei: Wir mussten den Flügel, so wie er nach dem Bruch dastand, aus allen Winkeln fotografieren. Auch ein Endoskop kam zum Einsatz, um die Schäden von innen zu dokumentieren. Der Bruch zog sich durch den Steg und den oberen Holmgurt; der untere Holmgurt war dagegen noch größtenteils intakt. Durch den Schock wurden die Lastscheren komplett vom Flügel getrennt. Ein Riss zog sich von der Bruchstelle bis fast zum Bremsklappenkasten.

Das Ausmaß des Schadens an der Flügelschale

Nachdem all diese Schäden dokumentiert wurden, konnten wir den Flügel entlasten und auf Böcken ablegen. In den folgenden Wochen erfolgte dann der Abtransport des Flügels aus der Halle und das Zersägen für die weitere Auswertung.

Begutachtung des Schadens nach dem Zerzögen des Flügels

Wie geht es weiter?

Es ist nicht direkt zu erkennen, wie und warum der Flügel zuerst versagt hat, und bis heute sind wir uns diesbezüglich noch nicht komplett sicher. Der Bruch erfolgte bei einem Sicherheitsfaktor von j = 1,89. Da von Seiten des Luftfahrtbundesamtes aber gefordert wird, dass die Last über eine Zeitspanne von mindestens 3 Sekunden gehalten wird, liegt der höchste gültige Wert bei einem Sicherheitsfaktor von j = 1,61. Gefordert war mindestens ein Wert von j = 2. Dies bedeutet, dass kein Weg an einem erneuten Bruchversuch vorbeiführt. Glücklicherweise haben wir nun bereits den fertigen Versuchsaufbau, auch wenn dieser vermutlich noch einmal leicht abgeändert wird.

Insgesamt steht der Wind gut für die Mü 32: Mit Lukas „Ernst“ Dröse, Juan „Sohn“ Mártony und Florentin „Putzi“ Wilke hat sich ein sehr motiviertes und kompetentes Team gefunden, welches die weiteren Herausforderungen mit diesem Prototyp angehen möchte. Inzwischen konnten wir auch einige Verbesserungsideen für einen zweiten Versuch sammeln. Die DMS könnten auf den Wurzelbereich konzentriert werden, ein weiterer SWA wäre wünschenswert. Insbesondere streben wir eine Erweiterung der Kraftmessungen an.

Wir bleiben gespannt auf den zweiten Versuch und freuen uns schon, die gewonnenen Erfahrungen dort einsetzen zu können. Neben dem zweiten Bruchversuch stehen weitere Arbeiten an der Wölbklappenautomatik an. Auch beim Thema Nachweise und Zulassung sind noch einige Punkte offen.

Kombiniert und gekürzt aus Texten von Joscha „Schnegge“ Löwe und Clemens „LöLu“ Lippmann